Die Schweizer Wirtschaft setzt sich grundsätzlich für den Zugang der Schweiz zum Binnenmarkt der Europäischen Union ein. Der Schweizerische Gewerbeverband sgv stellt an einer Medienkonferenz jedoch klar: Der EU-Marktzugang muss die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz steigern und kann deshalb nicht mit der Übernahme von teurer EU-Regulierung und gleichzeitiger Aufgabe von Schweizer Trümpfen und Souveränität einher­gehen. Oberstes Ziel muss der Erhalt und die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bleiben. Um dies allenfalls auch ohne InstA zu erreichen, hat der sgv einen Forderungskatalog aufgestellt.

17.05.2021 | 12:00

Fabio Regazzi, «die Mitte»-Nationalrat und sgv-Präsident beurteilt den aktuellen Vertragsentwurf zum Institutionellen Rahmenabkommen als nicht geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu erhalten. Bereits früh hätten die Wirtschaft und auch teilweise die Kantone verschiedene Elemente des vorliegenden Abkommens kritisiert. Die umstrittenen Punkte und Roten Linie für die Verhandlungen  seien: Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs in der Streitschlichtung, die flankierenden Massnahmen für den Schutz des Arbeitsmarktes, die Unionsbürgerrichtlinie, die Regelung der staatlichen Beihilfen sowie die absolute Guillotine-Klausel.

Der Zugang zum Binnenmarkt der EU sei ein wichtiges Element für die Wettbewerbsfähigkeit, das sei unumstritten. Gleichwohl müsse der Zugang im richtigen Kontext bewertet werden. Er sei eines unter vielen Mitteln zur Erhaltung und Steigerung der Schweizer Positionierung. «Wenn aber die Sicherung des EU-Marktzugangs nur mit der Übernahme von teurer EU-Regulierung und gleichzeitiger Aufgabe Schweizer Trümpfe und Souveränität möglich ist, ist dies kontraproduktiv. In dieser Form laufen wir Gefahr unsere eigene Wettbewerbspositionierung zu verlieren», sagte Fabio Regazzi vor den Medien.

Auch eine einseitige Übernahme von EU-Recht, beziehungsweise eine einseitige Anpassung an EU-Recht, ohne dafür Zugeständnisse oder Gegenleistungen der EU zu erhalten, könne nicht akzeptiert werden. Gerade bei Projekten wie «Swisslex 2.0» beziehungsweise «Stabilex 2.0» stünden solche einseitigen Zugeständnisse an die EU im Vordergrund. Das Beispiel der Börsenäquivalenz habe aber gezeigt, dass solche Zugeständnisse von der EU noch lange nicht einfach übernommen würden.

Stockten die Verhandlungen zum Institutionellen Rahmenabkommen und damit zum Marktzugang, gebe es immer noch andere Möglichkeiten, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und auszubauen, schloss der sgv-Präsident seine Ausführungen.

Vitalisierung des Binnenmarktes

«Ein geeignetes Institutionelles Abkommen ist nur ein Mittel, die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu stärken. Der eigentliche Königsweg ist die Vitalisierung des Binnenmarktes in Kombination mit der internationalen Positionierung der Schweiz in einem kompetitiven Umfeld», erklärte sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler.

Das wohl effizienteste Mittel um die Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität der Unternehmen zu fördern, sei für die Schweizer Wirtschaft die Einführung der Regulierungskostenbremse. Die Regulierungskostenbremse unterstelle Vorlagen, die besonders hohe Regulierungskosten auslösten oder mehr als 10 000 Unternehmen betreffen würden dem qualitativen Mehr im Parlament. Aktuell sei davon auszugehen, dass die Regulierungskosten jährlich um die 70 Milliarden Franken betragen würden. Die Unternehmen hätten keinerlei Einfluss auf diese Kosten und könnten sie oft nicht durch Einsparungen in anderen Bereichen ausgleichen. Durch das Vermeiden unnötiger Regulierungskosten steige die Produktivität gesamtwirtschaftlich – ein Wachstumsprogramm aus eigener Kraft, das auch Arbeitsplätze schaffe und sichere.

Ein weiterer wichtiger Eckpunkt des Vitalisierungsprogramms sei die Anpassung des Arbeitsrechts an die Bedürfnisse des flexiblen Arbeitsmarkts. Der flexible Arbeitsmarkt sei einer der wichtigsten Standortfaktoren für die Schweiz er werde jedoch durch starre Schutzmassnahmen des Arbeitsgesetzes eingeengt. Gerade im Lichte einer immer digitaler und flexibler werdenden Arbeitswelt müsse das Arbeitsrecht entsprechend angepasst werden.

Weiter müsse bei den Sozialwerken unbedingt das Gleichgewicht wiederhergestellt werden indem ihre Leistungen auf ihre Finanzierung ausgerichtet würden. Erhöhte Lohnnebenkosten und höhere Mehrwertsteuern verringerten die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft. Gleichzeitig müsse mit der Einführung einer Schuldenbremse in den Sozialversicherungen die langfristige Finanzierung gerade auch für kommende Generationen sichergestellt werden.

Die Schweiz sei bekannt für die hochqualitative Arbeit, die in unserem Land geleistet werde. Diese Besonderheiten der Schweiz gingen schwergewichtig auf die Berufsbildung zurück. Sie sei also zusammen mit der Höheren Berufsbildung essenziell für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft.

Als letzten Punkt erwähnte Hans-Ulrich Bigler die Digitalisierung, welche einen Wandel der wirtschaftlichen Strukturen auslöse und so zur Steigerung der Schweizer Wettbewerbsfähigkeit beitrage. Das schliesse auch die Bereiche der Verwaltung mit ein. Freiheitliche Rahmenbedingungen seien zudem die wichtigste Voraussetzung, damit dieser Wandel zum Vorteil der KMU ausfalle. Insbesondere in der Digitalisierung gelte der Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit: «Was nicht ausdrücklich verboten oder gesetzlich geregelt ist, ist erlaubt», schloss der sgv-Direktor seine Ausführungen zu diesem Punkt.